Sollen Schülerinnen und Schüler weiterhin acht oder lieber neun Jahre am Gymnasium lernen? Darüber werden hitzige Debatten geführt. Es gibt für beides Argumente, wie die Erfahrungen am Plochinger Gymnasium zeigen.
Zwölf oder besser 13 Jahre bis zum Abitur? Nicht erst seit dem Volksantrag für die Rückkehr zum G 9, den eine Elterninitiative erreicht hat, gibt es darüber eine Debatte. Im vergangenen Jahr hat die Landesregierung ein Bürgerforum zu dem Thema eingesetzt. Das Gymnasium Plochingen nimmt seit 2012 am G-9-Schulversuch teil und bietet beide Züge an. Rektor Heiko Schweigert spricht über seine Erfahrungen.
Wird der G-9-Zug in Plochingen überrannt?
Der Wunsch nach G 9 war von Anfang an sehr groß, das ist übrigens eine Erfahrung, die alle Modellschulen machen. Obwohl wir eine sehr große Schule mit in der Regel sechs Zügen sind, ist eine G-8-Klasse häufig überhaupt nur dadurch zustande gekommen, dass wir Kinder umlenken mussten. Wir möchten beide Züge anbieten. Dieses Mal war die Nachfrage aber derart gering, dass es aktuell keine fünfte Klasse gibt, die nach acht Jahren Abitur machen wird.
Kommen Kinder gezielt wegen G 9 nach Plochingen?
Unser klassisches Einzugsgebiet ist neben Plochingen Altbach, Deizisau, Wernau, Reichenbach und Lichtenwald. Daran hat auch G 9 nichts geändert. Praktisch kein Schüler und keine Schülerin aus dem weiteren Umland kommen deswegen hierher, dafür ist den Familien der Weg einfach zu weit.
Gibt es Unterschiede zwischen G-8- und G-9-Abiturienten?
Was die Leistung und Noten angeht, sicher nicht. Aber das Abitur wird ja auch als Reifeprüfung bezeichnet. Die Schülerinnen und Schüler, die länger an der Schule waren, sind immer wieder reifer in dem Sinne, dass sie Zusammenhänge besser verstehen und einordnen können. Und wer mit 17 Jahren Abitur macht, kann sich ja nur mit den Eltern zum Studium einschreiben. Immer mehr machen deshalb ein Gap-Year oder Work-and-Travel.
Die Bildungspläne sind auf acht Jahre ausgelegt. Nach welchen Kriterien wird der Unterrichtsstoff bei G 9 verteilt?
Das macht jede Modellschule etwas anders. Dies war im Schulversuch auch so angelegt. Manche Schulen „strecken“ über die ganze Schulzeit, wir in den ersten drei Jahren. Die Zusammenführung von G 8 und G 9 erfolgt bei uns in Klasse acht, wenn ohnehin die Profilwahl ansteht und die Klassen je nach Neigungen neu gemischt werden. So entstehen in der Regel homogene Gruppen. Wir unterstützen diesen Prozess im Rahmen von Klassentagen, auch Schulsozialarbeiter sind eingebunden.
Keine Zeit für Hobbys? Wie groß ist der Druck bei G 8?
Mit einer stabilen Gymnasialempfehlung können Schülerinnen und Schüler das G 8 aus meiner Sicht locker schaffen. Die Frage ist, ob Eltern das für ihr Kind auch so wollen oder ob sie ihm lieber etwas mehr Zeit geben möchten. Das ist oft der Fall, wenn Kinder neben der Schule sehr engagiert sind, sei es im Sport oder im Ehrenamt. Wir haben auch in G 9 viele sehr leistungsstarke Schülerinnen und Schüler. Genauso gibt es Kinder, die im G-8-Zug sind und trotzdem noch Zeit für ihre Hobbys haben. Das ist machbar, auch wenn man dafür manchmal besser planen muss und die Tage oft voller sind. Dass diese Kinder nur im Stress sind, halte ich für zugespitzt. Die ersten Jahrgänge waren tatsächlich mehr belastet, aber dann gab es Veränderungen und der Bildungsplan wurde an die kürzere Schulzeit angepasst.
Brauchen wir überhaupt G 9? Es wird oft angeführt, dass es den neunjährigen Weg zum Abitur bereits gibt, nämlich über die Mittlere Reife mit anschließendem beruflichen Gymnasium oder an einer Gemeinschaftsschule.
Möglich ist das aber nur mit einem Schulwechsel, viele Gemeinschaftsschulen haben beispielsweise noch gar keine gymnasiale Oberstufe. G 9 ist dagegen ein Bildungsgang, bei dem durchgängig auf Gymnasialniveau unterrichtet wird. Wir kämpfen deshalb für die Rückkehr von G 9. Dennoch halte ich die Frage, wie lange die Schulzeit nach der Grundschule bis zum Abitur dauern soll, gerade nicht für das dringendste Problem in unserem Schulsystem. Man müsste vor allem die Grundschulen stärken und die verbindliche Grundschulempfehlung wieder einführen. Wir brauchen zudem mehr Ganztag, vor allem auch an weiterführenden Schulen. Die Aufsplittung im Schulsystem ist zu groß, es gibt zu viele Schularten.
Werden Ihre Lehrkräfte in G 8 und G 9 gleichzeitig eingesetzt? Und welcher Zug ist beliebter?
Eine Trennung nach Zügen gibt es nicht, unsere Lehrerinnen und Lehrer unterrichten in allen Klassen. Die Mehrheit der Lehrkräfte begrüßt sicher G 9, weil man Stoff vertiefen oder wiederholen kann. Im Deutsch-Unterricht kann man beispielsweise eine zusätzliche Lektüre lesen, die Zeit hat man in G 8 tatsächlich nicht in dem Maße, wie man sich das wünschen würde. Aber es gibt auch Lehrkräfte, die Vorteile im sehr stringenten Unterricht von G 8 sehen.
Es ist immer die Rede davon, dass bei der Rückkehr zu G 9 als Regelschule an die 1000 Lehrkräfte fehlen. Scheitert G 9 am Geld und am Personalmangel?
Wenn die Schulzeit ein Jahr länger dauert, benötigt man natürlich mehr Lehrkräfte. Aber man braucht sie ja nicht auf einen Schlag, weil man erst einmal bei Klasse fünf anfängt. Auch wenn die Versorgung bei Gymnasiallehrern insgesamt noch ganz gut ist, könnte es in manchen Fächern eng werden. Aber man hätte noch Zeit, sich darauf vorzubereiten, wenn der politische Wille dafür da ist. Mehr Lehrer kosten am Ende selbstverständlich auch mehr Geld.
Wird das neunjährige Gymnasium bald wieder Standard sein?
Ich denke, ja. Die Signale aus den verschiedenen Parteien gehen ja in diese Richtung. Die Frage ist nur, wann es eingeführt wird. Dieses Jahr sicher nicht mehr. Für das Schuljahr 2025/26 halte ich es für realistisch. Die Gymnasien im Land hätten dann auch noch Zeit, sich darauf einzustellen. Es werden einige Veränderungen nötig sein. Man braucht andere Stundenpläne und neue Termine, etwa für Studienfahrten oder Praktikumszeiten. Die Umstellung ist nicht ganz trivial, aber machbar. Ich bin dafür, dass es eine Wahlmöglichkeit gibt und G 8 parallel als Option weiter angeboten wird, auch wenn das organisatorisch nicht ganz leicht umzusetzen ist.
Könnte man die alten G-8-Lehrpläne übernehmen?
Meiner Erfahrung nach muss man nicht zwingend neue Bildungspläne schreiben. Bisher bleiben es ja die gleichen Inhalte. Sie werden beim neunjährigen Gymnasium lediglich zeitlich gestreckt.
G 8 als Standard, G 9 als Testlauf
Zur Person
Heiko Schweigert, Jahrgang 1962, ist Lehrer für Deutsch und Sport. Seit 2015 ist er Schulleiter in Plochingen, das mit rund 1300 Schülern eines der größten allgemeinbildenden Gymnasien im Land ist.
Schulversuch
Das Gymnasium Plochingen gehört zur ersten Staffel der insgesamt 44 Modellschulen im Land und nimmt seit 2012/13 am Schulversuch des Kultusministeriums zu G 9 teil, der 2035/36 auslaufen soll. Daneben gibt es das neunjährige Gymnasium noch an Privatschulen.